Um dir einen besseren Einblick in die Arbeit von V Social zu verschaffen, stellen wir dir unseren Projektkoordinator Camilo und unsere Koordinatorin Ifigenia vor. Die beiden sind dafür verantwortlich, ambitionierte Vorschläge in konkrete Resultate innerhalb der Gemeindeprojekte umzusetzen. Camilo und Ifigenia geben uns im Interview einen Einblick in ihre Arbeit. Sie berichten von Herausforderungen sowie auch Erfolgen in den Projekten, wobei letztere alle Bemühungen aufwiegen.
Camilo lebt in Bogotá, Kolumbien, und ist unser Koordinator der V Social Projekte in Südamerika. Er bringt umfangreiche Erfahrung von mehreren Jahren im Bereich der Menschenrechte und der Mitarbeit an lokalen Entwicklungsprojekten in verschiedenen Teilen Kolumbiens und Lateinamerikas bei V Social ein. Camilo trat seine Tätigkeit bei V Social im August 2017 an.
Ifigenia, die gerne Ifi genannt wird, lebt in Puerto Jimenez, Costa Rica. Von ihrer Mutter hat sie ihre Begeisterung für Naturwissenschaften geerbt, weshalb sie sich dem Studium der Tropenbiologie gewidmet hat. Ifi verbindet ihr wissenschaftliches Know How mit ihrem festen Glauben daran, dass Bildung einen Beitrag zur Erhaltung der Tropenwälder leisten kann. Sie engagiert sich für zahlreiche Gemeindeprojekte in Mittelamerika, die von Frauen geleitet werden. Seit August 2017 ist sie Teil des Teams von V Social.
Wie hilfst du den Gemeinden? Bei welchen Themen wird Hilfe benötigt?
Ifi: Die Frauen von Muycuché baten mich um Hilfe in der Gästebetreuung, da sie bestrebt sind, ihre Fähigkeiten weiterzuentwickeln. Sie wollten ihre Kompetenzen und ihr Selbstvertrauen im Umgang mit Gästen verbessern und ich wurde zur "Testtouristin". Ich half ihnen, ihre Fertigkeiten zu verfeinern, und gab ihnen immer dann einen zusätzlichen Schubs, wenn ich es für hilfreich hielt. Es war toll zu sehen, wie zufrieden sie ihr gestärktes Selbstbewusstsein machte.
Ein Bereich, in dem wir häufig um Hilfe gebeten werden, ist die Infrastruktur. Daher konnte ich auch bei dem Projekt in Muycuché den Frauen mit Wasserfiltern aushelfen, um sauberes und zugängliches Wasser für die Gemeinde und Besuchenden zu gewährleisten. Nun prüfen wir die Möglichkeit, Elektroöfen als Alternative zu offenen Feuern anzuschaffen. Das Kochen über offenem Feuer kann gesundheitsschädlich sein, insbesondere für die Frauen, die stundenlang den Rauch einatmen müssen. Die Anschaffung von Elektroöfen ist meine derzeitige Aufgabe, da ich weiß, wie wichtig dies für ihre Gesundheit ist.
"Wir standen vor der Herausforderung, das negative Image der Isla Maciel zu verändern." - Camilo
Camilo: In diesem Zusammenhang möchte ich das Projekt Isla Maciel als Beispiel heranziehen. Es handelt sich um eine Gemeinde in Buenos Aires, in der wir uns im Laufe der Jahre mit mehreren bedeutenden Herausforderungen auseinandergesetzt haben. Zunächst bestand die Herausforderung darin, das negative Image dieses Stadtviertels zu verändern. Wir wollten, dass der Tourismus nicht nur für die Besucher und Besucherinnen, sondern auch für die jungen Menschen vor Ort zu einer transformativen Erfahrung wird.
Jugendliche in Isla Maciel sind oft der Gefahr ausgesetzt, in kriminelle Aktivitäten verwickelt zu werden oder Drogen zu nehmen. Oft geht Beides Hand in Hand. Wir integrieren die jungen Menschen in ein Ausbildungsprogramm für lokale Guides und ermutigen sie, im Gemeindemuseum mitzuwirken. Dabei bringen sie neue Ideen ein und übernehmen Verantwortung für Verwaltungsaufgaben und einfache Dinge wie Aufräumarbeiten. Dadurch sind sie so beschäftigt, dass sie keine Zeit für kriminelle Aktivitäten haben. Sie erkennen die tatsächlichen Vorteile des Tourismus, sowohl in wirtschaftlicher Hinsicht als auch in Bezug auf ihre persönliche Entwicklung. Diese Aufgabe, junge Menschen auf einen guten Weg zu bringen, darf nicht unterschätzt werden.
Wie sieht ein typischer Tag aus, wenn du eine der Gemeinden besuchst?
Ifi: Wenn ich in Muycuché bin, verspüre ich von dem Moment des Aufwachens an Wärme und Verbundenheit. Wenn ich in der Hängematte liege, umgeben von den anderen Frauen, kann ich nicht anders, als ihre Disziplin zu bewundern. Sie stehen jeden Morgen um 3 Uhr auf, etwas früher als ich es gewohnt bin, aber ihr unermüdlicher Einsatz inspiriert mich. Gemeinsam kehren wir die Böden, kümmern uns um die Tiere und kochen zusammen.
Während der Tage, die ich mit diesen bemerkenswerten Frauen verbracht habe, wurde ich immer wie ein Mitglied der Familie behandelt. Ich spüre das tiefe Vertrauen und die aufrichtige Herzlichkeit, die sie mir entgegenbringen. In diesen wertvollen Momenten verspüre ich ein tiefes Gefühl der Zugehörigkeit, und das berührt mich zutiefst.
Was motiviert dich in deiner Arbeit mit den Gemeinden?
Ifi: Es macht mich glücklich zu wissen, dass meine Zeit eine positive Wirkung auf ihr Leben hat. Dass mein Wissen, meine Erfahrungen und meine Hingabe an meine Arbeit den Menschen und ihren Familien den Zugang zu einem besseren Leben ermöglichen. Es fällt mir leicht, mich zu motivieren, nicht nur weil ich Menschen helfe, sondern auch, weil es meinen eigenen Geist wachsen lässt. Ich bin motiviert, weil ich mich als Teil einer Familie fühle. Diese Frauen betrachten mich wie eine Tochter. Sie nehmen mich bei sich zu Hause auf und lassen mich Dinge tun, als wäre ich eines ihrer Kinder. Dieses Gefühl, geliebt und geschätzt zu werden, berührt mich zutiefst.
"(...) dass meine Zeit eine positive Wirkung auf ihr Leben hat. Dass mein Wissen, meine Erfahrungen und meine Hingabe an meine Arbeit den Menschen und ihren Familien den Zugang zu einem besseren Leben ermöglichen." - Ifi
Camilo: Mich motiviert es, wenn der Tourismus einen vielfältigen Zweck erfüllt. Dieser Zweck kann sich auf verschiedene Bereiche des Lebens erstrecken: Generationswechsel, Menschenrechte, die Stärkung der Rolle der Frauen und den Umweltschutz. Der Tourismus kann ein Instrument sein, um Probleme anzugehen und Lösungen zu finden. Genau an diesem Punkt möchte ich meinen Beitrag leisten.
Gibt es einen bestimmten Moment, in dem dir die positiven Auswirkungen deiner Arbeit besonders deutlich wurden?
Camilo: Das Projekt "Parchese a los Populares" ist ein gutes Beispiel. Die Jugendlichen leben in einem sehr touristischen Viertel von Bogotá, La Candelaria. Sie haben allerdings nie vom Tourismus profitiert. Einige von ihnen haben Reisende bestohlen, weil sie darin die einzige Möglichkeit sahen, etwas von den vielen Besuchern und Besucherinnen in ihrem Viertel zu erhalten. Wir sagten zu ihnen: "Hey, warum nutzt ihr nicht die Gelegenheit, die euch direkt vor Augen liegt?" Wir fragten sie nach ihren Interessen wobei sich herausstellte, dass sie alle eins gemeinsam hatten: eine Leidenschaft für die Hip-Hop-Kultur, sei es in Form von Gesang, Tanz, Graffiti oder als DJs.
"Jugendliche von “Parchese a los Populares” werden nicht mehr als Kriminelle angesehen, sondern als treibende Kräfte des sozialen Wandels." - Camilo
Also haben wir gemeinsam mit ihnen eine Tour entwickelt, bei der sie selbst entscheiden konnten, welche Orte ihrer Nachbarschaft sie zeigen möchten. Dies beinhaltete auch Orte, die bisher für Touristen und Touristinnen tabu waren, weil sie dort oft ausgeraubt wurden. Da die Jugendlichen aus dem Viertel stammten, erkannten sie die Vorteile der gemeinsamen Umgestaltung und engagierten sich für die Veränderungen. Inzwischen ist ihr Viertel zu einem Ort geworden, den Reisende besuchen können.
Dies ist ein großartiges Beispiel dafür, wie der Tourismus einen Paradigmenwechsel herbeiführen kann: Jugendliche von “Parchese a los Populares” werden nicht mehr als Kriminelle angesehen, sondern als treibende Kräfte des sozialen Wandels. Heutzutage möchten viele junge Menschen an dem Projekt teilnehmen, weil sie darin neue Möglichkeiten erkennen, z. B. den Kontakt mit Reisenden, der das Sprachenlernen erleichtert, sowie die Bezahlung für eine Arbeit, auf die sie stolz sind.
Welche Rolle spielst du in der Entwicklung der Gemeindeorganisationen?
Camilo: Meine Aufgabe als Vermittler beginnt damit, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Ich versuche, die Ausgangssituation zu verstehen, ohne zu urteilen. Ich ermögliche den Austausch zwischen beiden Seiten und versuche zu verstehen, wie die Lebensumstände und Bedürfnisse der Gemeinden aussehen. Ein gutes Beispiel dafür sind erneut die Jugendlichen in “Parchese de los Populares”. Ich habe versucht zu verstehen, warum sie stehlen. Wenn ein junger Mensch keine Bildungs- oder Beschäftigungsmöglichkeiten hat, kann das Stehlen eine von wenigen Optionen sein, um zu überleben. Ich wollte ihnen zeigen, dass es einen anderen Weg gibt, mit Besuchern und Besucherinnen zu interagieren. Ich konnte Ideen einbringen, wie sie Menschen für eine Tour durch ihre Nachbarschaft begeistern können. Gemeinsam haben wir touristische Initiativen ins Leben gerufen, die es ihnen ermöglichten, weiterhin zu singen, Graffiti zu sprühen und sogar ihre eigene Modelinie zu kreieren. "Cambiamos la torta", wie wir hier sagen. Wir haben die Spielregeln verändert.
Gibt es eine Erkenntnis, die du aus deiner Arbeit mit den Gemeinden gewonnen hast?
Ifi: Beharrlichkeit gehört zu den Lektionen, die ich gelernt habe. Trotz der Herausforderungen, die die Pandemie und das Ausbleiben von Reisenden mit sich brachten, haben die Gruppen, mit denen wir zusammenarbeiten, an ihren Projekten festgehalten. Ihr Durchhaltevermögen und ihr Glaube daran, dass alles klappen würde, waren offensichtlich. Es war inspirierend, ihre sauberen Häuser, gepflegten Gärten und renovierten Terrassen zu sehen. Dabei schätzte ich insbesondere ihre Bescheidenheit. Viele der Frauen hatten Ehemänner, die mit Alkoholismus zu kämpfen hatten. Ein häufiges Problem in ländlichen Gebieten mit begrenzten Beschäftigungsmöglichkeiten. Trotz ihrer Situation steckten die Frauen nicht den Kopf in den Sand, sondern konzentrierten sich auf den Aufbau ihrer eigenen Zukunft. Dass sie diese persönlichen Geschichten mit mir teilen, erfordert ein gewisses Vertrauen zwischen uns. Diese Gespräche machten mir bewusst, wie wichtig es ist, nicht zu urteilen und anzuerkennen, dass unsere Lebenserfahrungen sehr unterschiedlich sind. Anstatt Verhaltensweisen als "gut" oder "schlecht" zu bewerten, nutze ich die Gelegenheit, zuzuhören und zu verstehen. Diese Lektionen in Bezug auf Beharrlichkeit, Ehrlichkeit und nicht wertende Akzeptanz haben einen tiefen Einfluss auf mich gehabt und prägen weiterhin meine Sichtweise.
"Diese Lektionen in Bezug auf Beharrlichkeit, Ehrlichkeit und nicht wertende Akzeptanz haben einen tiefen Einfluss auf mich gehabt und prägen weiterhin meine Sichtweise." - Ifi
Was würdest du Reisenden sagen, die noch nie ein gemeindebasiertes Tourismusprojekt besucht haben?
Camilo: Ich würde ihnen sagen, dass sie es nicht als eine typisch touristische Erfahrung betrachten sollen, bei der sie wie ein Gast behandelt werden. Es ist viel mehr ein Besuch bei einem Freund eines Freundes. Jemandem, den sie nicht kennen, der sie aber wie ein Familienmitglied behandeln wird. Für den Erfolg eines gemeindebasierten Tourismusprojekts ist die Zusammenarbeit beider Seiten entscheidend. Es handelt sich um einen Dialog. Je mehr sie bereit sind, sich auf diesen Dialog einzulassen, desto faszinierender wird die Erfahrung sein.
Reisen bedeutet zu lernen, und das hier ist eine echte Lernerfahrung. Nichts im gemeindebasierten Tourismus ist erfunden. Es wird nicht mit Lügen gearbeitet. Die Gemeinden nutzen das, was sie haben: lokales Wissen, lokale Küche und lokale Kultur. Das sind die wertvollsten Dinge, die man nicht mit Geld kaufen kann, sondern nur durch das Teilen mit anderen Menschen erleben kann.
"Das sind die wertvollsten Dinge, die man nicht mit Geld kaufen kann, sondern nur durch das Teilen mit anderen Menschen erleben kann." - Camilo