Triff Lizbeth: eine junge Aktivistin, die in Ecuador Zukunft gestaltet

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Nachhaltiger Tourismus Erhalt von Kulturen

Kürzlich hat sich Marie Witzel, Koordinatorin der V Social Foundation, mit Lizbeth Morales zu einem Gespräch getroffen und dabei Lizbeths Rolle als Führungspersönlichkeit in ihrer Heimatgemeinde besprochen. Mit ihren 24 Jahren ist Lizbeth ein Vorbild dafür, wie junge Menschen die Zukunft ihrer Heimat mitgestalten können. 

Als Aktivistin in Yunguilla, einem Dorf nördlich von Quito in den ecuadorianischen Anden, ist Lizbeth Teil der Tourismusbemühungen ihrer Gemeinde. Hier können Besucher in einheimischen Unterkünften übernachten und im Dorfrestaurant traditionelle Mahlzeiten mit lokal produzierten Lebensmitteln genießen. 

Lizbeth

 

Marie: Kannst du dich zu Beginn kurz vorstellen?

Lizbeth: Ich bin Lizbeth Morales. Ich komme aus der Gemeinde Yunguilla, die in Ecuador in der Provinz Pichincha liegt. In meiner Gemeinde kümmere ich mich um den Tourismus und das ist es, wofür ich mich besonders engagiere.

Marie: Vielleicht kannst du uns auch ein bisschen über Yunguilla erzählen? Wie war es, in Yunguilla aufzuwachsen?

Lizbeth: Ich bin 24 Jahre alt. Ich wurde hier geboren, bin hier aufgewachsen und habe hier mein ganzes Leben verbracht. Was ich über meine Gemeinde in der Vergangenheit weiß, ist, dass sie nicht organisiert war. Es herrschte totale Unordnung in Bezug auf die Landwirtschaft, die Viehzucht und die Nutzung der Waldressourcen. Ich habe diese Phase nicht miterlebt, aber ich weiß, dass all das in der Vergangenheit passiert ist. 

Seit ich da bin, geht es mehr um Tourismus und Naturschutz. In der Schule hatte ich Unterricht in Sachen Umgang mit der Umwelt, und danach kam ich in die Bastelgruppe, wo ich anfing, Samen und Blätter zu sammeln, um Papier zu verzieren. Danach habe ich mich auch an anderen Aktivitäten wie Kochen und Reiseleitung beteiligt. 

Das Interessante an meiner Gemeinde ist, dass du bei all diesen Aktivitäten mitmachen kannst. Sobald du in den Umweltbildungsprozess einsteigst, hast du die Möglichkeit, kannst du überall mitmachen. Als junge Menschen erkunden wir natürlich so lange, bis wir herausfinden, wo wir hinpassen. Ich mochte das Reiseleiter sein. Dann ging ich zur Universität und spezialisierte mich auf Tourismusmanagement und Umweltschutz. Dort habe ich gemerkt, dass ich auch Management mag, und deshalb habe ich mich entschieden, hier zu arbeiten.

 

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Marie: Du bist in Quito zur Schule gegangen und hast auch dort studiert, richtig?

Lizbeth: Nein, wir haben hier in der Gemeinde eine Einklassenschule, die von der Regierung finanziert wird. Für die weiterführende Schule und Universität müssen wir die Gemeinde verlassen. 

Marie: Als du studiert hast und deinen Berufsweg gewählt hast, hattest du da auch andere Berufswünsche als den Tourismus?

Lizbeth: Als ich anfing zu studieren, war ich von der Idee angezogen, eine internationale Reiseleiterin zu werden. Damals verstand ich die Welt des Tourismus aber noch nicht ganz. Als ich in diesen Bereich einstieg, gefiel mir der administrative Aspekt. Es hat mir wirklich Spaß gemacht, auf die Bedürfnisse der Touristen einzugehen. Ich mag es, sie zu fragen: "Wonach suchst du? Was willst du?" und versuche dann, ihnen das beste Erlebnis zu bieten. 

Es war auch wichtig, meine Karriere hier in der Gemeinde zu verankern. Ich glaube, dass Bildung uns irgendwie dazu bringt, eher individualistisch zu sein und nur an uns selbst zu denken. Du fragst dich: "Was will ich für meine Zukunft? Ich muss der Besitzer meines eigenen Unternehmens sein. Ich muss der Boss sein." Aber in Yunguilla passiert alles kollektiv. Ich musste lernen, in einem Team zu arbeiten. Und obwohl ich hier aufgewachsen bin, hat meine Bildung mich das vergessen lassen. Als ich in der Schule war, habe ich mich sehr für die Gemeinschaft engagiert, bin zu Arbeitsgruppen gegangen und so weiter. Als ich dann aber an der Universität war, habe ich nach und nach aufgehört, an diesen Aktivitäten teilzunehmen. Es war also ein bisschen schwierig. 

Bisher hat es mir Spaß gemacht, hier zu arbeiten. In Workshops wie dem, in dem ich jetzt bin, und auch in anderen, an denen ich teilgenommen habe, habe ich gemerkt, dass Zusammenarbeiten funktioniert. Manchmal kommt man gemeinsam schneller voran als allein. Das gefällt mir sehr. Ich hoffe, dass ich in Zukunft einen Master-Abschluss zum Thema Kollektivität machen kann. 

 

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Marie: Wie viele junge Menschen zwischen 20 und 30 Jahren arbeiten denn in der Gemeinde? 

Lizbeth: Im Moment haben wir eine Gruppe von 20 jungen Leuten, von denen 75 % das Gleiche machen wie ich. Eine unserer Hauptaktivitäten zum Geldverdienen ist das Restaurant. Von Montag bis Freitag lernen für Schule oder Uni, und an den Wochenenden arbeiten sie hier in der Gemeinde. Wenn Ferien sind, arbeiten sie im Restaurant und sind Reiseleiter, machen Marmelade und suchen nach anderen Möglichkeiten, sich einzubringen – aber auch mit dem Ziel, Geld zu verdienen. Die andere Möglichkeit wäre, in die Stadt zu fahren, aber das lohnt sich kaum, weil die Hin- und Rückfahrt so viel kostet, dass vom Gehalt nur wenig übrig bleibt. Deshalb ist Reiseleiter sein auch für uns junge Leute eine gute Option.

Marie: Du hast erwähnt, dass du jetzt im Tourismusmanagement arbeitest. Kannst du uns ein wenig über deine Aufgaben erzählen? Was machst du so im Alltag?

Lizbeth: Ich arbeite immer mittwochs bis sonntags. Normalerweise nehme ich mir montags und dienstags frei, aber das variiert auch, je nachdem, wie viele Touristen wir erwarten. An den Tagen, an denen ich arbeite, kümmere ich mich um die Beantwortung von E-Mails, das Verschicken von Angeboten, die Vorbereitung von Paketen, die Bereitstellung von Informationen, die Teilnahme an Meetings und den Verkauf. Ich unterstütze auch bei der Reiseleitung selbst. Wenn ich also nicht viel im Büro zu tun habe, bin ich als Reiseleiterin unterwegs.

 

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Marie: Perfekt. Lass uns mal den Verkaufsteil testen. Was würdest du sagen, kann ein europäischer Tourist lernen, wenn er mit einem Reiseführer unterwegs ist? Was können man erwarten zu erleben?

Lizbeth: Als Erstes frage ich sie, was sie sich wünschen, um zu sehen, ob mein Produkt das ist, was sie wollen. Wenn sie mir sagen, dass sie mehr Natur suchen, zum Beispiel den Wald sehen wollen und sich auch mit der Gemeinde vernetzen wollen, gebe ich ihnen zwei Möglichkeiten: als Tourist oder als freiwilliger Helfer. Als Tourist hast du mehr Annehmlichkeiten, aber es ist teurer. Als Freiwilliger hast du zwar nicht alle Annehmlichkeiten, aber es ist einfacher, was die Kosten angeht. Danach erstelle ich eine Reiseroute für sie und schicke sie ihnen zu, um zu sehen, ob sie einverstanden sind. Wenn ja, werden sie am Flughafen empfangen und kommen dann hierher in unsere Gemeinde. Ihre Aktivitäten sind dann bereits vorbereitet. Ich bin diejenige, die sie willkommen heißt und ihnen zeigt, was wir hier alles so machen. Und dann arbeiten sie mit den Leuten aus der Gemeinde zusammen.

Marie: Kannst du erklären, wie der Tourismus in die Zukunftsvorstellungen von Yunguilla passt?

Lizbeth: Weißt du, der Tourismus ist eine der wichtigsten wirtschaftlichen Aktivitäten, aber nicht die einzige. Während der Pandemie haben wir gemerkt, dass man sich nicht nur auf den Tourismus verlassen sollte. Trotzdem ist er für uns von grundlegender Bedeutung, denn ohne Touristen haben wir keine Möglichkeit, unsere Produkte zu vermarkten. Sie kommen in die Gemeinde und kaufen unsere Marmeladen und Käsesorten. Der Tourismus hat hier also viele Beschäftigungsmöglichkeiten für Familien geschaffen. Es stimmt zwar, dass nicht jeder ein Fremdenführer sein kann, aber wir haben beschlossen, dass sich eine Familie um die Unterkunft kümmert, eine andere um das Essen und so weiter.

Der Tourismus hat uns auch bei der Entwicklung sehr geholfen. Ich könnte sagen, dass diese Mischung von Kulturen uns geholfen hat, über den Tellerrand hinauszuschauen. Hier auf dem Land fühlen wir uns manchmal ziemlich abgeschieden, aber das Zusammentreffen mit neuen Kulturen hat uns auch geholfen, mal über den Tellerrand hinauszuschauen. Ich kann dir ein sehr deutliches Beispiel zum Thema Gleichberechtigung geben. Hier in Ecuador gibt es viele Kulturen, in denen der "Machismo", der Chauvinismus leider noch weit verbreitet. Durch das Kennenlernen anderer Kulturen haben wir gelernt, dass es aber nicht immer so sein muss: Wir als Frauen müssen nicht unbedingt immer nur kochen oder uns um die Kinder kümmern, sondern wir können uns auch weiterbilden und sogar leidenschaftlich einer bezahlten Arbeit nachgehen. Das finde ich sehr schön. Denn viele junge Frauen werden heutzutage keine Mütter mehr. In Südamerika ist der Druck, schon in jungen Jahren Mutter zu werden, sehr groß. Auch in meiner Gemeinde war das früher oft der Fall, aber jetzt haben kaum noch Mädchen aus meiner Generation Kinder. Das ist positiv.

 

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Marie: Hast du irgendwelche Träume für Yunguilla oder für die Zukunft von Yunguilla, die du gerne teilen möchtest?

Lizbeth: Ja, ich habe eine Menge Träume. Wenn man sich mal umschaut, hat Yunguilla jetzt schon viele gute Dinge umgesetzt, aber ich glaube, wir müssen einige davon noch stärken. Der Tourismus, auch innerhalb des Landes ist bereits in Reichweite, was uns am meisten Sorgen beschäftigt hat. Wir haben viel Zeit damit verbracht, nur mit ausländischen Gruppen zu arbeiten, aber jetzt haben wir sogar unter der Woche manchmal ecuadorianische Touristen. Wenn ich das sehe, denke ich mir: Ja, warum sollte Yunguilla nicht auch eine eigene Agentur gründen, ein eigener Reiseveranstalter werden? Das wäre großartig, weil es mehr Arbeitsplätze schaffen würde. Das würde ich gerne wahr werden lassen. 

 

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Ich würde auch eines Tages einige unserer Produkte exportieren. Das würde ich wirklich gerne tun, denn der Tourismus allein kann unseren Lebensunterhalt nicht immer garantieren. Die Pandemie hat uns bewusst gemacht, dass Tourismus auch Türen verschließen kann. Viele Frauen haben gekocht und als Reiseleiterinnen gearbeitet, aber als das nicht mehr ging, gab es kein Einkommen mehr. Viele von uns haben sich daran gewöhnt, Touristen in ihren Häusern zu empfangen, und die Landwirtschaft blieb dabei irgendwie auf der Strecke. Wir müssen das wieder stärken. Es muss keine Massenlandwirtschaft sein, sondern eine Landwirtschaft in kleinem Maßstab. Das, was bereits getan wird, nur eben bisschen ausgeprägter. Aktuell sind nur noch unsere Großeltern in der Landwirtschaft tätig, und ich glaube, das ist im ganzen Land ein Problem: dass unsere Landwirte verschwinden. Heutzutage gehen alle jungen Leute weg, um zu studieren, und kommen dann mit einem Abschluss zurück –  aber wer nimmt dann schon noch Schaufel und Machete in die Hand und geht zurück aufs Feld? 

Deshalb freue ich mich über diese Workshops, diese Organisationen, denn sie zeigen uns, bringen uns bei, wie wir uns davon erholen können. Es gibt jetzt landwirtschaftliche Methoden, die vielleicht nicht so schädlich für den Boden sind und die sich bei uns bewährt haben. Vor ein paar Monaten haben wir es als junge Leute geschafft, eine Minga zu organisieren.

Wir haben schon immer gerne daran teilgenommen, aber es nie geschafft, selbst eine zu organisieren. Und ich muss sagen, es war wirklich schön: Klassenkameraden, die sonst vor dem Computer sitzen, mit einer Machete zu sehen, war erfrischend anders.

Marie: Was hast du in dieser Minga gemacht?

Lizbeth: Wir haben jetzt ein Projekt, bei dem wir mit Baumschulen und Gewächshäusern arbeiten, damit wir etwas produzieren können. Wir verstehen, was wir als junge Menschen tun können, um dem Geschäft zu helfen. Der erste Schritt war, diese Gewächshäuser zu errichten. Wir mussten das Land mit Schaufeln und Macheten roden, und merkten aber bald, dass wir auch eine Fräse brauchten. Also schafften wir es als junge Leute, diese Fräse zu kaufen. Und das wird uns sehr helfen und ich glaube, das, was jetzt kommt, wird interessant.

 

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