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Die Gemeinschaft der No-Mafia-Bewegung: Dolce Vita?

Geschrieben von V Social | 26.07.2024 11:34:03

Das „Dolce Vita" ist nicht immer so schön, wie es in Filmen und im Fernsehen dargestellt wird, sagen die Bewohner:innen Süditaliens, wenn man sie nach den Auswirkungen der Mafia in ihrer Region fragt. Anstatt legaler Institutionen und öffentlicher Dienstleistungen ist die Mafia präsent und wird für die renovierungsbedürftigen Straßen, die eingeschränkte Gesundheitsversorgung und die hohe Arbeitslosigkeit verantwortlich gemacht. Auch das negative Image, das Regionen wie Kalabrien, Sizilien, Apulien und Kampanien anhaftet, wird durch die Mafia noch verstärkt. Darstellungen von fiktiven Mafiosi wie in dem Film „Der Pate“ halten Klischees am Leben und überschatten den tatsächlichen kulturellen und ökologischen Reichtum dieser Regionen. 

Fantasie versus Realität

Der Familienname und auch der Heimatort des „Paten“ ist Corleone, ein wirklich malerisches Dorf im Norden Siziliens. Der Name Corleone, der inzwischen weltweit bekannt ist, bedeutet „Löwenherz“. Das Dorf und seine Geschichte haben jedoch nichts mit dem zu tun, was in dem Bestseller-Buch und dem dazugehörigen Film dargestellt wird. Mario Puzo, der Autor von „Der Pate“, versuchte bei der Namensgebung seiner Figuren mit den Corleone-Familien in Kontakt zu treten, aber ohne Erfolg. Es war reiner Zufall, dass Jahre später einige der einflussreichsten Mafiafamilien der Cosa Nostra (der sizilianischen Mafia) aus eben diesem Dorf Corleone hervorgingen.

Quelle: V Social


Wenn man heute durch Corleone schlendert, entdeckt man ein Café mit dem scherzhaften Namen Il Padrino, den die Einheimischen als spielerische Parodie betrachten. Sie amüsieren sich auch über Tourist:innen, die gerne Fotos von Mafiosi machen würden, die lässig mit Hüten, Sonnenbrillen und Zigarren herumlaufen. Die Menschen vor Ort klären Besucher:innen nur zu gerne darüber auf, dass ihre Stadt nichts mit den fiktiven Ereignissen in „Der Pate“ zu tun hat. Außerdem betonen sie, dass sich die wirkliche Mafia nicht an einen moralischen Verhaltenskodex hält und dass ihre Mitglieder nicht von Natur aus gute Menschen sind, auch wenn der Film das so darstellt.

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No Mafia: Organisationen vor Ort

Gemeinsam mit Sylvia erkundete ich Palermo und die Ionische Küste in Kalabrien – Sylvia, der Direktorin von feast, einem Reiseveranstalter, der sich auf kulinarische Touren durch die Mittelmeerregion spezialisiert hat. Palermo und die Küste Kalabriens gelten als Drehpunkte für zwei der vier italienischen Mafiagruppen. Vor Ort haben wir uns mit Organisationen getroffen, die seit zwei Jahrzehnten gegen die Mafia kämpfen. Von ihnen erfuhren wir, wie die Mafia heute vorgeht, z. B. bei der Stimmenkontrolle, der Infiltrierung von Institutionen und Unternehmen und der Schaffung von „sozialem Druck“. Im Vergleich zur Vergangenheit sind die Aktivitäten der Mafia heute viel subtiler geworden, was es schwieriger macht, sie zu verstehen und zu bekämpfen. 

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Mafiagruppen arbeiten in den verschiedenen Regionen unterschiedlich. In Palermo, als Mafia-Hauptstadt der Cosa Nostra bekannt, zahlen immer noch etwa 60 % der Ladenbesitzer:innen sogenanntes Pizzo (Schutzgeld) an lokale Mafiagruppen, und sozial benachteiligte Stadtteile werden ausgenutzt, um die nächste Generation von Mafia-Aktivisten zu rekrutieren. Im Gegensatz dazu strebt die 'Ndrangheta, die kalabrische Mafia, einen breiteren Einfluss an. Sie infiltriert diskret die Politik und versucht, Unternehmen auf der ganzen Welt zu kontrollieren. Die 'Ndrangheta kauft Stimmen für mafiöse Parteien und platziert ihre Mitglieder in Schlüsselrollen und einflussreichen Ämtern. Sie schöpfen Gelder aus öffentlichen Bauprojekten ab – ein wichtiger Grund, warum die Brücke zwischen Sizilien und Kalabrien noch nicht eingeweiht wurde.



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Besucher:innen bringen neuen Chancen

Doch das sollte dich nicht davon abschrecken, diese Regionen zu besuchen. Der ausbleibende Tourismus in Gebieten mit unzureichender Infrastruktur hat vor allem Auswirkungen auf Menschen ohne Jobperspektive, die durch die Mafia ohnehin schon gefährdet sind. Durch einen Besuch bekämpfst du die Mafia, denn wenn sie ein Geschäftsfeld an andere Akteure verliert, hat sie weniger Chancen, aufgrund von Armut und Hoffnungslosigkeit zu wachsen.

Die Ionische Küste bietet zahlreiche Möglichkeiten für Erlebnistourismus, bei dem du mit Einheimischen in Kontakt treten kannst. Du kannst zum Beispiel kleine landwirtschaftliche Betriebe besuchen und dort lokal hergestellte Produkte probieren. Wir waren erstaunt, welche Vielfalt an Obst und Gemüse in den Mikroklimata Kalabriens gedeiht, darunter sogar tropische Früchte wie Kiwis, Mangos und Papayas sowie die cholesterinsenkende Bergamotte. Zwar leiden die landwirtschaftlichen Betriebe genauso unter dem Einfluss der Mafia wie andere Unternehmen in Süditalien, aber neue Initiativen machen es möglich, zu reisen, ohne der Mafia in die Hände zu spielen. 

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Die Anti-Mafia-Bewegung wird stärker

Addiopizzo ist eine Organisation in Sizilien, die Aufkleber auf Produkte von Unternehmen klebt, die frei von Schutzgeldern sind. Außerdem veröffentlicht sie jährlich eine Netzwerkübersicht. Und wenn du in Kalabrien unterwegs bist, kannst du mit der Sozialgenossenschaft GOEL reisen und ihr Mafia-freies Netzwerk von Dienstleistern nutzen. Beide Organisationen sind fester Bestandteil der Anti-Mafia-Bewegung, und mit bewussten Reiseentscheidungen kannst du ihre Bemühungen gegen die Korruption der Mafia unterstützen.

Die Veränderung der Dynamik zwischen der Zivilgesellschaft und der Mafia zeigt sich auch in der Gründung von Sozialgenossenschaften. Dieser Wandel hat jedoch Wurzeln, die bis in die Straßen von Palermo in den 1980er Jahren zurückreichen. Nach den Anschlägen, bei denen 1982 die Anti-Mafia-Anwälte Falcone und Borsellino ums Leben kamen, hörten die Menschen auf, aus Angst zu schweigen. Die Märsche und Proteste hielten die Mafia von ähnlichen Angriffen ab und demonstrierten die Macht kollektiver Bewegungen.

Gemeinsam gegen die Mafia

Heute steht diese gemeinschaftsorientierte Logik im Mittelpunkt der Anti-Mafia-Bewegungen. Soziale Kooperativen und Netzwerke bieten der Mafia kollektiv die Stirn und machen es ihr unmöglich, einen einzelnen Anführer auszuschalten und den Protest zu beenden. In einer Gemeinschaft von Gleichgestellten gibt es keinen Anführer; die Macht liegt im Kollektiv. Ein Netzwerk von Einzelpersonen überwacht die Eingriffe der Mafia wachsam, prangert sie an und drängt sie nach und nach zurück.

Das deckt sich mit der Grundüberzeugung von V Social: 
Kraft kommt aus der Gemeinschaft. Eine Person kann zwar auch etwas bewegen, aber gemeinsam können wir so viel mehr erreichen!